Ein Bericht über die aktuelle Situation in Thailand
Die Auseinandersetzung ist vor allem eine soziale - zwischen wohlhabenderen Mittelschichten aus dem städtischen Räumen und einer ärmeren Landbevölkerung, vorwiegend aus dem bevölkerungsreichen Norden. Der Konflikt droht sich auszuweiten. Weite Teile der ländlichen Bevölkerung solidarisieren sich nach den gewaltsamen Übergriffen der Armee gegen die „Rothemden". Scharfe Munition wurde und wird gegen unbewaffnete DemonstrantInnen eingesetzt, jedwede menschenrechtliche Grundsätze außer Acht gelassen. Die Zahl der Opfer steigt täglich.
Nachdem die königstreue Armee mit einer massiven Offensive die Camps der „Rothemden" in Bangkok geräumt hat, scheint die Lage zunehmend unübersichtlich zu werden. Ein Drittel des Landes wurde mit einer Ausgangssperre belegt, die freie Medienberichterstattung immer weiter behindert.
Und was in Thailand selbst nicht ausgesprochen werden darf: die Monarchie - übrigens eine der reichsten der Welt - ist längst nicht unbeteiligt. Sie ist direkt in das Geschehen involviert und versucht mit allen Mitteln, Macht, Privilegien und Wohlstand zu erhalten.
Um einen Einlick über die Situation vor Ort zu bekommen, haben wir mit IUSY Vizepräsidentin Pimsiri Petchnamrob, 24, vom Young Progressives for Social Democracy Movement gesprochen. Sie befindet sich zur Zeit in Bangkok.
Die Situation in Bangkok eskaliert dramatisch. Was führte zu dieser Entwicklung?
Nachdem die Rothemden versucht haben, mit der Regierung und Vize-Ministerpräsident Sudhep Tueksubhan (zugleich auch Direktor des CRES, Zentrum zur Lösung von Notfallsituationen) zu verhandeln, endete dies nach dem harten Durchgreifen der Staatsführung am 10. April. Ministerpräsident Abhisit verkündete, dass die Regierung nicht mehr mit den Rothemden verhandle. Am 13. Mai 2010 gab das CRES bekannt, dass Maßnahmen ergriffen werden, um den Druck gegen die demonstrierenden Rothemden zu steigern und alle Kommunikationswege im Umkreis der Demonstrationsbereichs abzuschneiden. Dies bedeutet, dass alle öffentliche Busse, Boote und Hochbahnen eingestellt sind und für diesen Bereich Elektrizität, Straßenbeleuchtung, Wasserversorgung und das Mobiltelefonnetz stillgelegt wurden. Am Abend desselben Tages wurde der Notstand über weitere 17 Provinzen verhängt. Das Zentrum, der Norden und der Nordosten Thailands wurden kontrolliert, um sicherzustellen, dass jegliche Unterstützung für die Rothemden abgeblockt werden kann. Wenige Stunden später wurden einige protestierende Rothemden im Gefecht mit der Armee ermordet. Der Führer der Rothemden, General Khattiya Sawadibhol, wurde von einem Scharfschützen erschossen. Dann wurde der Bereich der Silom-Road mit M79-Granaten beschossen, wobei etwa 20 Protestierende verletzt wurden. Schützenpanzer und schwer bewaffnete Scharf- und Heckenschützen wurden rekrutiert. Dies heizte die Spannung dramatisch an und mündete darin, dass die Truppen das Feuer gegen die Protestierenden und ZivilistInnen eröffneten.
Wo stehen die Rothemden politisch? Ex-Präsident Thaksin scheint nicht gerade ein sehr progressiver Politiker zu sein.
Die Rothemden setzen sich aus armen StadtbewohnerInnen, Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, sowie ArbeiterInnen zusammen, die von Thaksins populistischer Politik profitierten. Ja, Thaksin ist nicht gerade ein sehr progressiver Politiker, wir haben generell nicht viele progressive PolitikerInnen. Zumindest wurde er von einer Stimmenmehrheit gewählt. Obwohl er möglicherweise korrupt ist und durch ihn Menschenrechte verletzt wurden, müssen wir ihn als Ergebnis eines demokratischen Prozesses loswerden und nicht per Putsch. Das ist der Grund, warum alle Linksgerichteten in Thaliand die Rothemden unterstützen. Wir goutieren Thaksin nicht, wir stehen aber für Demokratie. Es geht derzeit gar nicht mehr um Thaksin. Folgender Satz umschreibt die Geschichte und das Bild thailändischer Politik: „LandbewohnerInnen setzen die Regierung ein, StadtbewohnerInnen eliminieren sie." Das ist der Punkt: Der Höhenflug der Rothemden wurde nicht durch Thaksin verursacht, sondern ist Ergebnis der Wut, des Zorns und der Unterdrückung, welche die Basis der thailändischen Bevölkerung seit langer Zeit ertragen muss. Wenn Gleichheit und Mehrheitsprinzips den Kern jeder Demokratie darstellt, trifft dies auf Thailand nicht zu. Die Elite und die Mittelklasse waren immer stärker und haben ihre eigenen Interessen vertreten. Die rote Erhebung hat nichts mit Thaksin oder anderen PolitikerInnen zu tun - sie ist die Kraft und Macht des Volkes im demokratischen Sinne. Viele der Rothemden trauen sich nun, die Rolle der Monarchie öffentlich zu kritisieren. (Anm. d. Verfassers: auf öffentliche Kritik an der Monarchie stehen 20 Jahre Haft)
Welche Schritte erwartest du dir von den Rothemden und der Regierung als nächstes?
Sie sollten zurückfinden zum Verhandlungstisch. Die Regierung sollte das Parlament schleunigst auflösen und den Weg für baldige Neuwahlen freimachen. Demokratisierung ist jetzt die einzige Lösung.
Wie sind die übrigen Regionen Thailands von den Protesten betroffen? Wie ist die öffentliche Meinung? Wie reagieren die Medien?
95 Prozent der Bevölkerung im Nord und Nordosten sind Rothemden, sie unterstützen die Demonstration und sind wütend über die Todesopfer und Ermordungen von Protestierenden durch die Armee. Viele Angehörige der Mittelklasse in Bangkok unterstützen dagegen Ministerpräsident Abhisit und sind mit dem harten Durchgreifen einverstanden, weil sie glauben, dass die Rothemden von Thaksin angeheuert wurden. Die interne Medienlandschaft ist total von der CRES kontrolliert. Eine gute Freundin von mir arbeitet in einem TV-Sender und hat mir erzählt, dass die CRES die gesamten Medienrichtlinien beaufsichtigt. Also bestimmt die CRES, was öffentlich berichtet werden darf und was nicht. Jetzt sind wir auf internationale Medien und Internet angewiesen.
Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um die Gewalt zu stoppen?
Bitte übt Druck auf die thailändische Regierung aus, um das Durchgreifen mit Waffengewalt zu stoppen. Euer Statement und eure Aktion können viele Menschenleben retten.
Von Sebastian Schublach
aus dem Engl. übersetzt von Boris Ginner